Der Christopher Street Day im Juli in München verzeichnete 350.000 Besucher:innen, die Parade in Köln eröffnete NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und zum Umzug in Berlin hisste der Bundestag erstmals die Regenbogenflagge. Dies zeigt auch: Pride wird immer wichtiger und kommt zunehmend in allen Bereichen der Gesellschaft an. Massiver Zuspruch der Pride-Paraden durch die Bevölkerung und die Unterstützung durch die Politik sind wichtige und richtige Zeichen, aber es geht um mehr als nur coole Paraden und Partys. Pride sollte in allen Bereichen des täglichen Lebens selbstverständlich sein. Was vielen Friseur:innen gar nicht bewusst ist: Sie können mit ihrer Arbeit entscheidend dazu beitragen, dass sich queere Personen akzeptiert und wohl in ihrer Haut fühlen. Daher kann ein dauerhaftes Pride-Engagement dieser Berufsgruppe eine große Wirkung haben. Schließlich spielen Friseur:innen eine entscheidende Rolle bei der Selbstverwirklichung von Menschen und tragen mit guten Haarschnitten dazu bei, dass sich die Kund:innen wohlfühlen.
Haare haben kein Geschlecht
Problematisch kann die Einteilung der Dienstleistungen in die Kategorien “Männer” und “Frauen” sein. Gerade genderneutrale Menschen und Trans-Personen leiden darunter. Beispielsweise kann das Thema Haarentfernung schwierig sein, wenn die Dienstleistung unter den Services für das andere Geschlecht aufgelistet wird. Das Thema Hormone spielt auch eine Rolle: So kann es beispielsweise bei Hormontherapien dazu kommen, dass Haarausfall oder vermehrter Haarwuchs auftritt. In diesem Fall sollten sich die Friseur:innen Zeit nehmen, um ausreichend über die optimale Pflege und den Schnitt zu informieren.
Dementsprechend muss natürlich auch die Preisgestaltung im Salon angepasst werden. Unterschiedliche Preise für Männer und Frauen sind eigentlich nicht mehr vertretbar, stattdessen sollten die Haarlänge und/oder der Zeitaufwand der jeweiligen Dienstleistung ausschlaggebend sein. Gleiches gilt bei der Auswahl der Pflegeprodukte. Häufig sind Produkte speziell für Frauen deutlich teurer als Produkte mit dem gleichen Effekt für Männer.
Kundenansprache: Korrekt gendern
Eine Stolperfalle: Wohlmeinende, aber ahnungslose Friseur:innen stellen unter Umständen direkt zu Beginn invasive Fragen oder sind unsicher bei der Identität einer Person. Gerade beim Kundenservice kann es schnell passieren, dass festgefahrene Gender-Normen zutage treten. Ein erster Schritt kann daher sein, zu Beginn noch einmal nach den bevorzugten Pronomen zu fragen, auch wenn diese eventuell schon bei der Terminvergabe ausgewählt wurden. Stichwort Terminvergabe: Gerade bei Buchungsseiten ist es wichtig, nicht auf eine starre Auswahl von Pronomen zu beharren, sondern eine Auswahl anzubieten. Dies spricht nicht nur alle Kund:innen an, sondern wirkt auch zeitgemäß und aufgeschlossen. Bei der Kundenansprache sollte außerdem beachtet werden:
- Kollektivbezeichnungen nutzen und konsistent gendern
Eine persönliche Ansprache wie "Komm bei weiteren Wünschen sehr gern auf uns zu”, wirkt wesentlich persönlicher als “Auch Sonderwünsche erfüllt unser Team gern.” Auf keinen Fall sollte zwischen verschiedenen Stilen und Ansprache-Typen gewechselt werden.Kommt im persönlichen Gespräch mal ein Fehler vor, beispielsweise, wenn anfangs das falsche Pronomen verwendet wird, ist Freundlichkeit das Wichtigste. Wird deutlich, dass hinter allen Bemühungen eine gute Absicht steht, sind kleine Missverständnisse erfahrungsgemäß kein Problem.
- Persönliche und neutrale Formulierungen benutzen
Auf den Kommunikations-Kanälen des Salons sollten sich alle Menschen gleichermaßen angesprochen fühlen. Daher sollte das generische Maskulinum ebenso wie unpersönliche Formulierungen vermieden werden. “Kundschaft” z. B. eignet sich gut als neutrale Formulierung. Sätze wie: „Lieber Kunde/ Liebe Kundin, willkommen auf unserer Website”, sind sperrig und nicht optimal.. Persönlicher wirkt eine direkte Ansprache, wie: “Herzlich willkommen auf unserer Website. Es ist es uns wichtig, dir stets einen optimalen Service zu bieten.”
Der Salon als Begegnungsort
Eine Regenbogenfahne als Dekoration macht optisch natürlich einiges her, sollte aber nicht die einzige Aktion zur Unterstützung der Pride-Bewegung sein. Stattdessen kann der Salon auch zum Pride-Begegnungsort werden. Das Engagement für die Community bietet die ideale Gelegenheit, um Kundenevents zu organisieren. Im Rahmen der Events kann das Geschäft Mitglieder:innen aus der LGBTQIA+ Community als Plattform dienen, beispielsweise im Rahmen eines Vortrags, bei dem eine queere Person über Leben und Herausforderungen in der Community spricht. Auf den unternehmenseigenen Kanälen, beispielsweise via Social Media oder Blog, können Infos und Haltung zur Pride-Bewegung, passende Fotos oder Spendenaufrufe für entsprechende Organisationen geteilt werden.
Daneben bietet auch Google inzwischen die Möglichkeit, dass sich Salons über Labels im Unternehmenseintrag als LGBTQIA+-freundlich ausweisen können. Die so gelabelten Einrichtungen stehen für Toleranz, Akzeptanz und Sicherheit. Das Label erhält man in vier einfachen Schritten über den Google-Unternehmensaccount:
- Beim Google-Unternehmensprofil anmelden.
- Im Google-Dashboard auf die Registerkarte „Info“ zugreifen.
- Im Listeneditor auf den Abschnitt “Attribute hinzufügen” klicken.
- Jetzt können Attributen, wie „LGBTQ+-freundlich“,aktiviert werden.
Gemeinsam stark: Kooperationen eingehen
Gerade im laufenden Tagesgeschäft kann es schwierig sein, all diese Vorschläge richtig umzusetzen und das Personal umfassend zu schulen. Daher kann es von Vorteil sein, sich mit anderen Friseursalons zusammenzuschließen und einen Austausch, gemeinsame Schulungen oder Aktionen zu starten. Auch Kooperationen mit LGBTQIA+-Organisationen bieten sich an, um in den Dialog mit der Community zu kommen und von ihr zu lernen. Salons können außerdem ihre Reichweite nutzen und beispielsweise Flyer von Organisationen auslegen oder auf anstehende Events hinweisen. Eventuell können LGBTQIA+-Organisationen auch Tipps für die Geschäftsbeziehungen mit anderen Unternehmen, wie Herstellern von Pflegeprodukten, geben, damit möglichst keine Firmen unterstützt werden, die Rainbow-Washing betreiben.
Schritt für Schritt zu einer offeneren Gesellschaft
Eines sollte Friseur:innen klar sein: Die LGBTQIA+-Community kann gerade zu Beginn sehr sensibel auf Unternehmen reagieren, die sich scheinbar plötzlich aktiv für sie einsetzen. Im Laufe der Jahre kam es einfach schon zu häufig zu falschen Versprechungen oder Rainbow Washing. Davon sollten sich Friseur:innen aber nicht entmutigen lassen. Vielmehr bietet Kritik die perfekte Möglichkeit, um in den Dialog zu treten. Der direkte Austausch der Schlüssel für einen positiven Impact. Dies gilt auch für etwaige Kritik von konservativen Kund:innen. In offenen Gesprächen können auch sie für das Thema sensibilisiert werden. Schritt für Schritt tragen damit auch Friseur:innen zu einer offeneren Gesellschaft bei.
Autor: Nikbin Rohany, CEO von Shore