Die Rheinische Post in Düsseldorf erlebte am 15.Mai 2020 einen Shitstorm per Telefon und Netz. Ursache war ein Kommentar in der Rheinischen Post vom gleichen Tag. Friseure sahen sich mit dem Vorwurf der Abzocke in Form eines Coronazuschlags konfrontiert, beziehungsweise lasen es so.
Ob es nun sinnvoll ist, seinem Unmut in Form von Schimpfwörtern und Beleidigungen zu äußern, wage ich zu bezweifeln. Dieses scheint ein Zeichen der Zeit zu sein. Bringt es uns weiter?
Aber mir erging es erst einmal ebenso, eigentlich noch schlimmer, denn im Leitartikel auf der Titelseite hatte ich begründet warum Friseure jetzt gut beraten sind, einen Corona Aufschlag zu erheben. Diesen hatte ich sogar mit 4-5 Euro für den Mehraufwand angegeben und im Gespräch mit der Redaktion darauf hingewiesen, dass durch die Begrenzung der Personenzahl und damit der Umsatzmöglichkeiten, für die meisten Friseure eine Nachkalkulation in Verbindung mit einer Preisangleichung nötig sein wird.
Dann las ich auf Seite 2 den Kommentar von Horst Thoren. Auch mir fiel die Kinnlade nach unten.
Da mir der zweite Chef der Rheinische Post persönlich bekannt ist, konfrontierte ich diesen noch am Abend mit einem offenen Brief und legte die desaströse finanzielle Situation unseres Handwerks da.
Die komplette Veröffentlichung dieses Briefes können wir uns sparen. Es sind Zahlen, die kennt ihr alle (hoffe ich zumindest). Ich verwies auf die explodierte Zahl der Betriebe und auf einen Wert, der in der vergangenen Woche vom statistischen Bundesamt veröffentlicht wurde und besonders aussagekräftig ist.
Demnach liegt das Friseurhandwerk mit 28.000 € Gesamtumsatz pro Person und Jahr weit abgeschlagen in der Liste der Handwerksberufe auf dem allerletzten Platz - im Vergleich zu anderen handwerklichen Berufen, wo der Durchschnitt bei 126.000 € Umsatz pro tätige Person liegt!
Emotional geladen ging dieser Brief an Horst Thoren und ich fragte wie Friseure einen solchen Mehraufwand ohne Preisangleichung finanzieren sollen. Am frühen Samstagmorgen konnte ich dann ein Gespräch per Telefon mit Horst Thoren führen. Um es vorwegzunehmen: ich habe mir daraufhin diesen Beitrag nochmals gründlich durchgelesen. Dieses würde ich jedem Kritiker ebenfalls empfehlen.
Die Frage war: „wer bezahlt für die Corona Krise?“ Antwort am Ende der brave Bürger!
Als erstes wird der Staat mit Steuern und Gebühren benannt, dann die freie Wirtschaft – das entspricht der Realität.
Dann heißt es: „.. das Wort Abzocke macht die Runde“ und es wird auf Friseure und Gastronomie verwiesen. Dieser Satz bezieht sich auf zahlreiche Leserstimmen, die in der Redaktion der RP angekommen sind und worüber auch schon berichtet wurde. „Nein, das soll kein Vorwurf gegen Friseure oder Gastronomen sein!“ das erklärt Horst Thoren auch in nachfolgender Mail, die mich nach unserem Gespräch erreichte.
Vielmehr ist es der Hinweis darauf, was in unserer Gesellschaft diskutiert, angeprangert und auch als Beschwerde an die Medien geschickt wird. Außerhalb der Friseurforen in Facebook findet man solche Kommentare von Wucher und Abzocke beim Friseur zuhauf. Es ist erschreckend!
Erinnerungen werden bei mir wach: ich habe im Friseurhandwerk zweimal schlagartige und gewaltige Umsatzeinbrüche erlebt, jedes Mal nach deutlichen (und notwendigen) Preisanhebungen in unserem Handwerk. Einmal als die BGW ihre Gebühren drastisch erhöht hatte und ein zweites Mal nach Einführung des Euro. Jedes Mal hieß es erst: die Kunden merken das gar nicht - um sich hinterher verwundert die Augen zu reiben, wenn sie ausblieben oder zum Discountfriseur wechselten.
Nicht zu vergessen: jeder Unternehmensberater im Friseurhandwerk warnt dringend davor, ohne Mehrleistung einfach so die Preise zu erhöhen! Nein, ich habe keine Angst vor vernünftig kalkulierten Preisen, wohl aber vor der nicht geführten Argumentation. Wir sollten uns alle einmal in die Lage der Kunden versetzen, die von uns nur die Sonnenseite kennen! Es ist doch alles so toll, so erfolgreiche und gutgehende Geschäfte, … und jetzt haben die Friseure nicht mal ein bisschen Spielraum, um das bisschen Desinfektionsmittel zu finanzieren? Nein, Kunden wissen nicht was uns das kostet und wie kalkuliert wird.
Man muss auch nicht jede Preisangleichung argumentieren, im Moment wo Kunden aber durch Kurzarbeit und diverse andere Dinge auch weniger zu Verfügung haben und empfindsam für Preise sind, ist es ratsam meine ich.
Schließlich gibt es genügend Friseure, die eben nicht erhöhen. Teilweise auch, weil sie diese Maßgaben der Hygiene nicht halten und dadurch keine Mehrkosten haben. Die vorgeschriebenen Hygienestandards kann man auch Marketingtechnisch nutzen, aber die wenigsten Friseure haben das erkannt.
Offensichtlich werden aber auch versäumte Kalkulationen der letzten Jahre nachgeholt. Sorry, so notwendig das auch sein mag, Kunden fühlen sich da eher bestraft und abgezockt. Sie können schließlich nichts dafür, was über Jahre versäumt wurde… !
Es gibt aktuell Friseurunternehmen, die haben die Preise quasi verdoppelt, sorry das versteht kein Kunde und auch ich nicht. Und wenn ich hier in Facebook am 13. des Monats lese: „wir haben erhöht und jetzt den Umsatz für diesen Monat schon in der Kasse“, dann frage ich mich ebenfalls ob es eine kluge Erhöhung oder Abzocke war.
Der Beitrag in der RP erwähnt die erhebliche Belastung der Gastronomie und des Friseurhandwerks deutlich. Horst Thoren sagte mir im Gespräch, das er die Schwierigkeiten durchaus anerkennt. Er weiß wie schwer es ist, sieht aber über den Tellerrand hinaus und erkennt viele Geschäftszweige und Branchen, die dieses Jahr wohl nicht mehr aufstehen werden. Ja, daran sollten wir auch denken, Anderen geht es deutlich schlechter als uns Friseuren.
Nein, es ist kein Vorwurf der Abzocke, wohl aber ein Hinterfragen dessen, was derzeit praktiziert wird. Es ist eine Anregung umzudenken in eine neue Wirtschaftsethik, das was viele Wissenschaftler schon seit langem fordern.
Hier die Nachricht, welche mich von Horst Thoren heute Mittag erreichte:
Sehr geehrter Herr Krombholz,
vielen Dank für Ihre Zuschrift zum Kommentar „Abzocke statt Solidarität“. Ich kann verstehen, dass von der Krise gebeutelte Friseure diese kritische Meinungsäußerung kaum teilen. Dass die Belastung in der Branche groß und mit zusätzlichen Lasten verbunden ist, erkennt jeder an. Dennoch sei die im Leitartikel aufgeworfene These erlaubt, dass es zu einfach ist, Mehraufwand auf den Kunden abzuwälzen. Das führt – auch in der Gastronomie – zu Unmutsäußerungen der Kundschaft, von denen uns viele erreichen und über die wir berichtet haben. Aus diesem Grund heißt es im kritisierten Beitrag „Das Wort Abzocke macht die Runde“. Die jeweiligen Anstrengungen für den Erhalt des Betriebs und der Arbeitsplätze werden durchaus anerkannt. Auch darüber hat die Rheinische Post geschrieben. Ebenso, wie professionell viele Betriebe die Situation meistern. Dennoch lässt sich trefflich darüber streiten, ob es angebracht ist, einen Zusatzaufwand in Rechnung zu stellen, obwohl sich für den Kunden der Wert der eigentlichen Leistung nicht verändert hat.
Davon, dass mein Beitrag das Ziel verfolge, eine Branche zu diffamieren, kann keine Rede sein.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Horst Thoren