Als digitale Zeitschrift anerkannt: Deutsche Bibliothek Berlin - Frankfurt - München - ISSN: 2190-9873 Letzte Aktualisierung: 18.04.2024

Wie geht Ihr mit unserer Zukunft um?

Friseur??? Lieber werde ich Totengräber !!!


Vorwort
Dieser Beitrag wurde 1999 im Fachmagazin CLIPS veröffentlicht und in der Zeit Sommer 1998 bis Frühjahr 1999 recherchiert. 
Alle hier genannten Vorkommnisse sind wahr und haben sich so zugetragen. 
1999 - es gab noch kein Internet, so wurde dieser Beitrag mehr in den Chefetagen als im Pausenraum gelesen. 
Die Resonanz? So etwas zu benennen, …. ein Unding!  So das Feedback aus den Chefetagen. Von Beleidigungen bis hin zu massiven Drohungen war alles dabei.

Bei der damaligen Recherche gaben 37% der Befragten an, nicht weiter im Friseurberuf arbeiten zu wollen. 
Heute > 2023 erfahren wir, das über 50 % der Berufsanfänger im Friseurhandwerk die Ausbildung vorzeitig beenden, bzw, dem Friseurberuf direkt nach Abschluss den Rücken kehren. 

Übrigens:
Die Initiative „Der faire Salon“ wird öfters als Plattform für die Rechte der Mitarbeiter und für höhere Löhne angesehen. Dem ist nicht so!  
Ziel ist es, den unter Mitwirkung der EU entstandenen ‚Kodex für Friseure in Europa‘ in den Salonalltag zu integrieren. 

Geschäftlicher langfristiger Erfolg funktioniert nur wenn alle am Unternehmen Beteiligten, das sind Unternehmen, Mitarbeiter und Kunden, einen Vorteil aus dieser Beziehung erkennen. Mit anderen Worten: einen Konsens auf wohlwollender Basis finden.  
Das ist nicht gleichbedeutend mit trügerischer Harmonie, sondern eine gemeinsame Zielsetzung mit Rechten und Pflichten. . Das erfordert intensive Kommunikation, im geschützten Mitgliederbereich der Wertegemeinschaft stehen den Teilnehmern eine Vielzahl von Themen und Hilfestellungen hierfür bereit.


Der Bericht aus CLIPS 1999

5 Jahre nach bestandener Gesellenprüfung sind nur noch 20 % der Friseure/innen in ihrem erlernten Beruf. (1998)
Ausgelernte Friseurinnen sind gesucht, gute Fachkräfte mit Berufserfahrung schon fast eine Rarität. 
Kinder und Ehe führen dazu, so sagt man. 
In einer Zeit mit immer mehr Singles und kinderlosen Partnerschaften wird dies allerdings immer unglaubwürdiger.

Im vergangenen Sommer war ich mit der beruflichen Situation junger Menschen im Friseurhandwerk befasst. 
Klagen und negative Berichte oder Äußerungen die kein Ende finden wollten machten mich hellhörig. 
So fing ich an Notizen zu machen:

1. Meike war im zweiten Lehrjahr und wollte einen Aufbaulehrgang einer privaten Fachschule besuchen, weil sie sich im Salon unterfordert fühlte und nur zum Haare waschen und putzen eingesetzt wurde. Der Lehrherr weigerte sich ihr für diese Zeit Urlaub zu geben oder diese Bildungsmaßnahme mitzutragen. Meike musste ihren Lehrvertrag kündigen, besuchte dann 14 Tage (ohne Lohn und Krankenversicherung) den Lehrgang welchen sie selber bezahlte. 
Mit bestandenen Diplom durfte sie dann erneut im Salon anfangen.

- Manteltarifvertrag für das Friseurhandwerk, hier ist festgelegt das Arbeitnehmer/innen bei Fortbildungsmaßnahmen ein Zeitraum von bis zu 6 Wochen innerhalb von 2 Jahren ohne Lohnfortzahlung zu gewähren ist. Der Lohnausfall wird erstattet wenn Mitarbeiter Prüfungen zu Fortbildungen ablegen die im beruflichen oder betrieblichen Interesse liegen.

2. Danny 17 Jahre, drittes Lehrjahr, berichtete: 'Es war schon nach 19 Uhr und ich müde da ich schon seit 10 Uhr ohne Pause durchgearbeitet hatte. 
Die Polizei rief an und bat mich nach Hause zu kommen da in mein Appartement eingebrochen wurde. 
Gehen durfte ich nicht, da sich noch ein Übungsabend anschloss der bis gegen 22 Uhr 30 dauerte. Die Sachen seien jetzt ohnehin weg, meinte mein Chef.'

- Jugendarbeitsschutzgesetz, Dritter Abschnitt: 'Jugendliche dürfen nicht mehr als 8 Stunden täglich / 40 Std wöchentlich beschäftigt werden. Zwischen zwei Ausbildungstagen muss eine ununterbrochene Pause von 12 Stunden liegen.

Übungsabende 
Viele Auszubildende gerade größerer Salons beschweren sich darüber, dass vieles der Ausbildung in die Stunden nach Feierabend verlegt wird. 
Tagsüber werden sie für Hilfsarbeiten benötigt, Abends finden Trainingsabende statt in welchen Lehrinhalte vermittelt werden. 
Ein Ausgleich, egal ob finanzieller oder zeitlicher Art findet nicht statt. 
Diese Trainings fallen in die Freizeit, deshalb gilt die Teilnahme als freiwillig. Trotzdem befürchten viele junge Menschen Repressalien, wenn sie daran nicht teilnehmen.

- ÖTV: 'Bietet der Betrieb im Anschluss an die regelmäßige Arbeitszeit Fortbildungsmaßnahmen oder Trainings an, so beteiligen sich die Beschäftigten freiwillig in ihrer Freizeit und ohne Vergütungsanspruch daran. Sie können es aber auch sein lassen.'

Nun, man hört immer das, was man hören will - dachte ich und wollte anders recherchieren. 
Die Klagen die ich vernahm stammten alle aus meinem Wohnort, dies machte mich stutzig. Vielleicht sammelte sich nur zufällig eine Schar unzufriedener Azubis um mich herum. 
So erarbeitete ich einige Fragen und sandte diese mit der Bitte um Mithilfe an die Berufsschule für Friseure nach Nürnberg. 
Diese hatte in der Vergangenheit schon des Öfteren mit Fachzeitungen korrespondiert, hier erhoffte ich Hilfe und Aufschluss. 
Die Fragen verteilte Studiendirektor W.Streidl in 5 Friseurklassen an die Berufsschüler/innen. 

Die Antworten waren aufschlussreich, das was Schüler/innen zusätzlich auf die Blätter kritzelten noch mehr.
- 'Leider gibt es zu viele Ausbildungsbetriebe die einfach nur eine billige Putzkraft suchen.'
- 'Ich war länger krank, mit gelben Schein. Trotzdem hat mit meine Chefin für die Zeit Urlaub abgezogen.' 
Solche und ähnliche Zitate finden sich auf etlichen der mir zurückgesandten Fragebögen. 
Auch: 'Mein Chef ist ein Schmierfink.' - Was auch immer damit gemeint sein mag.

Über schlechte Bezahlung klagen verständlicherweise Alle. 
Es wird bemängelt das Trinkgelder vom Arbeitgeber zum Lohn hinzugerechnet werden, nach dem Motto : 'Ihr verdient doch gut.'

60 % der Befragten geben an das Trinkgeld nicht sparen zu können, mit anderen Worten : Es ist für sie wirtschaftlich notwendig. 
Nach 3 Jahren Ausbildung und bestandener Gesellenprüfung erhält eine junge Friseurin 1.330,- € Monatslohn, ein Straßenkehrer erhält ab ersten Tag seiner Tätigkeit, Ausbildung nicht erforderlich monatlich € 1.750,- plus Zulagen. ( beide Tarife NRW, Quelle: ÖTV)

Frau Gerda Kanzleiter (ÖTV), Vorsitzende der zuständigen Tarifkommission: 'Ein Vergleich der Löhne weist tatsächlich solche und zum Teil noch größere Differenzen auf. 
Traditionell sind männliche Produktionsberufe meist höher bewertet als weibliche Dienstleistungen.'

Zentralverband des Friseurhandwerks: 'Die geschilderte Problematik ist bekannt. 
Bei den Tariflöhnen handelt es sich allerdings um eine Mindestbasis, von der nicht in verschlechternder Weise abgewichen werden darf. 
Es existieren erfreulicher Weise viele Beispiele übertariflicher Vergütung.'

Auf die Frage:  
Müssen Sie oft Überstunden machen?,  antworteten:  fast immer: 6% - oft: 27%
Müssen Sie nach Feierabend Trainingsabende absolvieren ? Ja, regelmäßig 76 % 

Werden Ihnen diese Zeit Aufwendungen finanziell oder zeitlich vergütet?' Nein 72%

Zentralverband: 'Eine hohe Zahl unbezahlter Überstunden kann der Zentralverband nicht bestätigen. 
Das veränderte Verbraucherverhalten macht allerdings flexiblere Arbeitszeiten erforderlich. Mit der Arbeitszeitkontenregelung weist der MTV hierfür ein optimales Instrument auf.'
Da davon auszugehen ist, dass längst nicht alle Auszubildenden volljährig sind, liegen hier mit Sicherheit Verstöße gegen gültige Tarifverträge und dem Jugendarbeitsschutzgesetz vor.

Jugendarbeitsschutzgesetz Dritter Abschnitt: 'Jugendliche dürfen nicht mehr als 8 Stunden täglich / 40 Std wöchentlich beschäftigt werden. Zwischen zwei Ausbildungstagen muss eine ununterbrochene Pause von 12 Stunden liegen.'

- Manteltarifvertrag Nr 4, § 7: 'Mehr-, Nacht-, und Feiertagsarbeit' besagt, das Mehrarbeit ( bei nicht volljährigen Azubis verboten! ) in Freizeit oder Lohn auszugleichen ist. Hinzu kommen Zuschläge die bei 5 Stunden Mehrarbeit/ Woche 30% , bei über 5 Stunden Mehrarbeit 50% betragen.

Pausen? Mittagessen? 
Für den Großteil der Friseure ein Fremdwort. Das nicht wenige dieser Branche durch Zeitmangel beim Essen wirklich krank sind, belegt eine Diplomarbeit von Frau Susanne Höltzl, die das Essverhalten im Friseurhandwerk studierte. Dies beschreibt sie in ihrem Bericht dem eine Befragung von 125 Düsseldorfer Friseurinnen vorausging. Der überwiegende Teil der Befragten gab an unregelmäßig oder nebenbei zu essen. Lediglich 30% der Gefragten gaben an ihre Mahlzeit in Ruhe einnehmen zu können. Im Tarifvertrag steht auch etwas über Pausen, aber Theorie und Praxis sind oftmals zweierlei.

Zentralverband: 'Die Pausenzeiten müssen auf betrieblicher Ebene geregelt werden. Zum einen brauchen Mitarbeiter ausreichend Zeit um regenerieren zu können, zum anderen will kein Kunde seine Haarbehandlung von einer Mittagspause unterbrochen wissen.'

ÖTV, Frau Gerda Kanzleiter: 'Die Studie ( IKK ) ist bekannt. Die gesundheitsschädliche Wirkung von zu kurzen Pausen ist nachweisbar. Die Berufsgenossenschaften sind hierbei die Instanzen die gehalten sind, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in Richtlinien zum Arbeitsschutz zu übertragen.'

Andere Vereinbarungen des Tarifvertrages finden in der Praxis so gut wie keine Anwendung. Vielfach müssen die Auszubildenden die Kosten für das notwendige Handwerkszeug selber von ihrem kargen Lohn bestreiten.

- Manteltarifvertrag:§5 (1) 'Der Arbeitgeber hat das zur Bedienung des Kunden benötigte Handwerkszeug zur Verfügung zu stellen.'
Die Kostenregelung für betrieblich einheitliche Kleidung, wie sie gerade in größeren Berieben verlangt wird, ist nur vom Text her bekannt.

- Manteltarifvertrag:§5 (2) 'Berufskleidung die den Schriftzug des Salons stellt, wird kostenlos gestellt. Sofern der Arbeitgeber Form oder Farbe der Salonkleidung vorschreibt, wird dem Arbeitnehmer eine monatliche Pauschale gezahlt.'

Auf die Frage ob die Tarifverträge den Auszubildenden zugänglich sind antworteten 92% mit Nein. Das gibt zu denken.

ÖTV, Frau Gerda Kanzleiter: 'Leider ist das vorhandene arbeitsrechtliche Wissen sehr mangelhaft. Oft ist nicht bekannt das der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet ist den gültigen Tarifvertrag auszulegen. Die Pflicht die vorgeschrieben Gesetzestexte zugänglich zu machen und verlängerte Arbeitszeiten zu dokumentieren wird ständig ungestraft ignoriert, dies nicht nur von kleineren Betrieben.'

Es scheint also nicht nur in meiner Stadt sondern auch wo anders so einiges im Argen zu liegen, Branchenweit. Nein, Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Trotzdem sollte sich niemand über bestehende Tarifverträge zum Nachteil der Auszubildenden hinwegzusetzen. Demütigungen und sexuelle Belästigung sollten ohnehin Tabu sein. 

Fakt ist:

Die Jugend von Heute ist sehr offen. Früher wurden solche Themen aus Scham totgeschwiegen, heute wird darüber geredet. 
Negatives spricht sich schnell herum. 
Dies gilt nicht nur für Belästigungen oder dergleichen sondern auch für schlechte Arbeitsbedingungen und geringem Lohn für harte Arbeit und führt schnell zu einem negativen Image des Berufsbildes bei den jungen Menschen.

Es kann nicht genügend an alle Ausbildungsbetriebe appelliert werden die Aufgabe der Ausbildung und den Umgang mit jungen Menschen konstruktiv und motivierend zu gestalten. 
Nur so kann langfristig das Image der Branche verbessert werden – und die Branche, das ist mein Salon, genau wie Ihrer.

Nach den vorliegenden Fakten nicht mehr verwunderlich:

- 37% der befragten Auszubildenden werden nicht weiter im gelernten Beruf arbeiten. 'Lieber werde ich Totengräber', steht auf einem Fragebogen...

Rene Krombholz 1999









 

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