Der Blick über den Tellerrand
die Zukunft unseres Handwerks gestalten wir heute
Beim Blick über den Tellerrand, damit ist der zeitliche Horizont gemeint, wird es mir Angst und Bange für unser Friseurhandwerk. Mit über fünf Jahrzehnten Berufserfahrung und dem Blick auf das aktuelle Geschehen, muss man kein Hellseher sein, um zu ahnen, was da kommt oder kommen könnte.
Mitarbeiter Mangel
bereits in den letzten Jahren erlebten wir im Friseurhandwerk einen dramatischen Mitarbeitermangel an guten Fachkräften.
a) qualitativer Mangel, weil mittlerweile um die 80 % der Gesellenprüfungen mit Note vier abschließen. Dieses entspricht nicht der Qualität die notwendig ist, um Kunden zu begeistern und das Preisniveau auf ein Limit zu heben, womit bessere Löhne finanzierbar wären.
b) Quantität: es gibt deutlich zu wenig wirklich arbeitswillige Bewerber. Hartz IV plus Schwarzarbeit ergeben für viele Arbeitslose offensichtlich das Nonplusultra.
Die Mehrheit der Friseurbetriebe suchte in den letzten Jahren ergebnislos neue Mitarbeiter.
50 % weniger Auszubildende
warum auch immer, viele Unternehmer/innen weigern sich Auszubildende einzustellen.
Die Zahl der Auszubildenden im Friseurhandwerk ist aktuell um rund 50 % gesunken.
Die drohende Apokalypse
bereits in absehbarer Zeit, ich denke in 3-5 Jahren wird das Friseurhandwerk einen nie dagewesenen Mitarbeiter Notstand erleben. Wenn wir aktuell 50 Prozent weniger Berufseinsteiger verzeichnen, werden am Ende 25-30 % (der bisherigen Mitarbeiter Zahlen) zur Verfügung stehen. Wir wissen, dass 40-50 % der Azubis die Ausbildung nicht beenden oder direkt nach Gesellenprüfung den Beruf verlassen.
Tür und Tore geöffnet
Diese Situation wird schlichtweg dazu führen, dass die Gegner der dualen Ausbildung Oberhand bekommen. Gesellenbrief, wie auch großer Befähigungsnachweis, werden fallen. Das Friseurhandwerk wird sich personell mit an- und ungelernten Mitarbeitern über Wasser halten müssen.
Digitale Fehlanzeige
der viel zitierte digitale Wandel ist im Friseurhandwerk nicht angekommen. Das betrifft nicht nur die Salon-Webseiten oder Kassen Managementlösungen, die von vielen Unternehmern/ innen bis heute als vollkommen unnötig achtet werden.
Vielmehr ignoriert dieses Handwerk auch die Entwicklung neuester Technologien, die mit Millionen Aufwand von großen Konzernen geschaffen wurden. Haaranalyse durch Nahinfrarotmessung, Farbberatung per Augmented Reality und perfekt auf den Kunden abgestimmte Haarpflegeprodukte, die auf Knopfdruck hergestellt werden – Henkel stellte bereits 2018 auf der Elektronikmesse CES® in Las Vegas den digitalen Salon vor.
Wella folgte ein Jahr später mit dem Color DJ, ein Gerät, welches in der Lage ist, ganz sicher 2 Billionen Farbnuancen auf Tastendruck zu mischen. Geräte, die dem Friseur die Arbeit einfacher, für den Kunden sicherer und innovativer, für das Unternehmen lohnenswerter zu machen.
Die Möglichkeiten dahinter werden schlichtweg nicht erkannt oder ignoriert.
Die Folge: am Friseur vorbei
die großen Konzerne der Haarkosmetik Industrie sind den Anlegern und der Börse verpflichtet, auf Millionen Beträge, die in die Entwicklung dieser Geräte geflossen sind, werden sie nicht verzichten wollen oder können. Genau das konnte ich kürzlich bei dem Besuch in eine einem Warenhaus erleben. Hier wurde von Henkel (Schwarzkopf) ein Gerät zur Farbtypbestimmung mit Möglichkeit zum Kauf der individuell gewünschten Haarfarbe vorgeführt und fand großen Zulauf.
Mittlerweile liegen handfeste Konzepte vor aus denen hervorgeht, wie diese Geräte im Verbrauchermarkt eingesetzt werden können. Am Friseur vorbei – der will dieses ja nicht.
Gefährliche Symbiose
Nicht nur dass die großen Konzerne der Haarkosmetik ihre Entwicklungskosten im digitalen Bereich amortisieren müssen, Ihnen sind in den letzten Jahren viele Kunden (Friseure) abhandengekommen.
Auf der anderen Seite warten Globalplayer wie Amazon. Hier wurde kürzlich der erste Friseursalon in London eröffnet. Diese Tatsache wird ebenso bespottet wie belächelt, persönlich sehe ich das allerdings vollkommen anders. Amazon und Co. haben längst schon die Fühler zum Friseurhandwerk ausgestreckt und werben um Partner. (Unsere Zulieferer-Industrie)
Den Tod vor Augen
wenn sich Amazon (oder Andere) mit den Großkonzernen der Haarkosmetik Industrie vereinen und die Gunst der Stunde nutzen, nämlich den Moment, wenn Gesellen und Meisterbrief im Friseurhandwerk nicht mehr erforderlich werden. Spätestens dann wird so gut wie allen Friseuren in diesem Land das Lachen vergehen.
Das Spotten, über fachlich unzureichende Arbeiten, wie wir es in der Entstehungszeit der Discounter erlebt haben, wird wieder aufleben. Für die Kunden aber werden ein guter Preis in Verbindung mit vielen Innovationen zum Publikumsmagnet werden. Wir werden einen nie zuvor dagewesenen Boom an Discount ähnlichen Betrieben mit ansprechendem Ambiente und neuester Technologie erleben. Die Preise werden im Bereich des normalen liegen (keine Discountpreise)
Umsatz bleibt immer noch Menge mal Preis.
Durch effiziente Arbeitsgeschwindigkeit und gute Nachfrage werden diese Salons Umsätze generieren, mit denen durchaus auch höhere Löhne möglich werden.
Dieses wiederum wird Mitarbeiter aus herkömmlichen Salons anlocken, die hier ein neues zu Hause in leitenden Positionen finden.
Unvorstellbar?
Nein ein sogar sehr wahrscheinliches Szenario. Derer hat das Friseurhandwerk in den letzten gut 100 Jahren gleich mehrere erlebt und wenig daraus gelernt. Mit Ignoranz und Angst vor Veränderungen lässt sich die Zukunft nicht aufhalten. Daher finde ich es schade, dass so wenig passiert.
Zu wenig, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten.
Rene Krombholz