Als digitale Zeitschrift anerkannt: Deutsche Bibliothek Berlin - Frankfurt - München - ISSN: 2190-9873 Letzte Aktualisierung: 24.04.2024

Zwischen Kopf und Bauch

So ist es oft bei uns emotionalen Friseuren. Ein ständiges hin und her zwischen Kopf und Bauch.


„Eigentlich kann ich alles und schließlich ist mein Chef seit zehn Jahren mit mir sehr zufrieden!“ erinnere ich mich an den Satz in einem meiner ersten Bewerbungsgespräche. Mein Salon stand kurz vor der Eröffnung und ich war froh, eine so fitte Mitarbeiterin und offensichtlich auch treue Seele zu bekommen.  Die Überraschung kam später, als die ersten Foliensträhnen im Terminplan standen. 
„Nein, so etwas habe ich noch nie gemacht“ waren ihre Worte und das ‚ich kann alles‘ war aus ihrer Sicht noch nicht einmal gelogen. Ihr vorheriger Arbeitgeber hatte diese Dienstleistung nicht im Repertoire und Weiterbildung war ihrer Meinung nach Sache des Chefs, der ihr sowas nie angeboten hatte. Das Ganze war ein Flop und die Dame für unseren Salon unbrauchbar - wir haben uns wieder getrennt.

Mit der Zeit lernte ich besser zu hinterfragen. Trotzdem passierte mir kürzlich ähnliches wieder. Wie die meisten von uns suchen auch wir Mitarbeiter. Endlich mal wieder eine Bewerbung, diesmal über die Agentur für Arbeit. Eine junge Dame, Mitte 20, die seit fünf Jahren nicht mehr im Friseurberuf tätig war, aber liebend gerne wieder einsteigen möchte, so erfahre ich.

Fachliche Defizite? Nachholbedarf? Erstaunlich - sie verneint und begründet das mit „ich habe die ganzen fünf Jahre nebenbei als Friseurin meinem Bekanntenkreis die Haare geschnitten. Sogar Dauerwellen und Farben, ich liebe es!“ Ärger steigt in mir hoch, weil sie eine ärgerliche Tatsache entspricht, von der wir alle wissen aber ich lasse es mir nicht anmerken. Mein Ärger sollte allerdings noch größer werden. Bereits am ersten Tag bei uns warf sie das Handtuch.

„Ich schaffe es einfach nicht!!!“ eröffnet sie mir weinend im Personalraum, nachdem sie vor der ersten Kundin geflüchtet war. „Meine damalige Chefin hat mir schon gesagt das ich nicht zur Friseurin tauge!!“ erfahre ich und dass eine ganz schlimme, abgebrochene Lehre hinter ihr liegt. Ihrer damaligen Chefin wurde sogar die Ausbildungserlaubnis entzogen. Jetzt kamen bei ihr Erinnerungen und Gefühle hoch, die sie blockieren. Was sind das für Ausbilder, die traumatische Erinnerungen in den Menschen hinterlassen? Davon höre ich nicht zum ersten Mal, merke aber auch hier habe ich zu wenig hinterfragt, war blind und taub durch die Beteuerung „ich will wieder im Friseurberuf…“

Heute die nächste Bewerbung männlich, Typ Lebenskünstler, Hütchen, Tattoos. ‚Nein, was soll denn unsere ältere Kundschaft denken?‘ signalisieren mir meine Gedanken, bevor ich merke: im Gespräch gewinnt er. Mein Kopf fragt mich ‚wieso entscheidest du plötzlich für deine Kunden, vielleicht mögen Sie ihn!?‘ Mein Bauch sagt: ‚eigentlich ganz nett aber pass auf das du nicht wieder zu gutgläubig bist!“ Besonders als er erzählt von mir schon viel gelesen zu haben…. Warum zweifele ich an seiner Glaubwürdigkeit? Es sind schlechte (frühere) Erfahrungen, die dieses auslösen.
 

So ist es oft bei uns emotionalen Friseuren. Ein ständiges hin und her zwischen Kopf und Bauch. 
Wir treffen unsere Entscheidungen rational und emotional. 
Fatal! Wir urteilen emotional ohne den Menschen näher zu kennen, nur auf Grund von erlebten Erfahrungen und nehmen uns dadurch nicht nur Chancen sondern begehen auch Unrecht dem unbekannten Gegenüber. Auch mit rationale Denkweise kann das passieren: wir sehen und hören, was wir sehen und hören wollen. Erzählt die Bewerberin von traumhaften Umsätzen beim letzten Arbeitgeber, so werden wir bereits auf einem Auge blind ohne zu hinterfragen, warum sie jetzt auf Arbeitssuche ist.

Mitarbeiter sind unser Kapital, heute mehr denn je, zudem schwer zu finden. Umso wichtiger ist es, hier die richtigen Entscheidungen zu treffen und in jeglicher Hinsicht nichts zu überstürzen. Das altbekannte „Bauchgefühl“ kann ein Hinweis sein, es gilt zu analysieren welche früheren Erfahrungen diese Emotionen auslösen. Das ist Arbeit mit uns selbst, aber unerläßlich.

Ein Bewerbungsgespräch alleine reicht ohnehin nicht, um sich ein ausreichendes Bild des potentiellen Mitarbeiters zu machen. Darum habe ich Typ Lebenskünstler eingeladen, er wird einige Tage bei uns verbringen und wir werden uns näher kennen lernen und dann entscheiden. 

Auch hier kommen Emotionen ins Spiel, denn miteinander wollen wir uns alle wohl fühlen und ein gutes Team bilden. Das oberste Ziel des Unternehmens ist aber nicht die Wohlfühloase, sondern ausreichender Umsatz. Wohlfühlen soll sich der Gast bei uns, aber wir sollten nicht für andere Menschen denken und schon garnicht voreilig urteilen!! Bin gespannt, was die nächsten Tage bringen…..

Rene Krombholz im Juli 2022

 

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