Früher war alles besser? Oder einfach nur anders? Das was wir heute erleben, wird in 20 Jahren einmal die gute alte Zeit sein.....
Erinnerungen aus dem Friseur-Alltag vor fast 50 Jahren ....
Anno 1969
Feierabend ! Es ist 16 Uhr 30 und heute ist der heilige Abend des Jahres 1969. Acht Monate bin ich nun schon in der Ausbildung zum Friseur. Es war relativ leicht, diese Lehrstelle zu bekommen. Friseur will ohnehin keiner mehr werden.
Meine Freunde sind alle in der Fabrik und wollen direkt richtig Geld verdienen, für ein Mofa und solche Sachen. Die lachen über mich weil ich eine Lehre mache.
Ist ja schon traurig wenn man sieht, was ich in der Friseurlehre verdiene. 50,- Mark ( entspricht 25,- €uro) im Monat, das reicht gerade für ein paar Süßigkeiten, Kinobesuch und meine Monatskarte. Und das bei einer 48 Stunden Woche...
Wenn ich jetzt noch eine Freundin hätte.... aber Monika hat ja Schluss gemacht. Kurz nachdem mir mein Chef ein paar Ohrfeigen verpasst hatte ,als sie mich im Sommer am Salon abholte. „Weibergeschichten gibt es nicht während der Lehrzeit !!!“ hat der Chef gebrüllt und mir einige verpasst. Na ja, schließlich hat er ja auch einen guten Ruf zu verlieren hier als Top Friseur dieser Stadt.
Puhh, wie komme ich denn jetzt nach Hause? Es ist Hl. Abend und es fährt kein Bus mehr.
14 km bis nach Hause laufen? Reicht doch schon ,wenn ich jeden Tag die Strecke mit dem Bus fahren muß...! Taxi? Unbezahlbar! Also trampen, per Anhalter wie es so schön heißt. Wie so oft des Abends wenn es im Salon später geworden war, der letzte Bus fuhr schließlich um 19:20 Uhr!
War ja ganz schön hektisch diese Vorweihnachtszeit. Ob das jedes Jahr so ist?
Wir fingen diesen Dezember jeden Morgen um 8 Uhr an zu arbeiten. So viele Dauerwellen. Ich hab jetzt noch blutige Hände von der aufgeplatzten Haut.
Kaum ein Abend wo ich mal pünktlich um 18:30 Uhr Feierabend hatte, von wegen 48 Stunden-Woche!
Und die letzten Tage erstmal! Im Herrensalon waren von Morgens bis abends alle Wartestühle voll belegt, immerhin 5 Stück!
Mein Chef hat diese Woche extra 3 Friseurinnen mehr eingestellt, die arbeiten sonst nur zum Wochenende.
Maria und Theresia mussten die ganzen Tage nur kämmen. (Alle Dauerwellkundinnen haben ja einmal kämmen gratis) – dann kommen noch die ganzen Kundinnen hinzu ,die ohnehin jeden Tag zum kämmen kommen! Abgesehen vonden ganzen Wasserwellen...
Aber eine schöne Stimmung war das heute. Alle waren schon so richtig in Vorfreude aufs Weihnachtsfest. Die Frauen redeten alle davon, was es tolles zum Essen gibt: bei éinigen gibt es sogar einen richtigen Braten! Frau Obermayer hatte sogar einen Rehrücken gekauft. Na ja, lieber Kochrezepte wie das Getratsche im Sommer. Was haben die sich alle aufgeregt, das dieser Showmaster Lou van Burg eine Freundin hatte. Zur Strafe durfte er ja dann auch keine Fernsehsendung mehr moderieren.
Die Kunden waren alle nett. Richtig gutes Trinkgeld hatte ich. Unser Chef hat wie immer alle Leute mit Handschlag verabschiedet und sich für die Treue im letzten Jahr bedankt. Manchmal finde ich das richtig albern: guten Tag Herr Doktor, auf Wiedersehen Frau Doktor. Aber er sagt: diese Leute sind wenigstens ‚was’ und die bringen uns das Geld. Und die sollen zu uns kommen und nicht zu dem Friseur gehen, der neulich im Kaufhaus aufgemacht hat. Essanelle oder so, der Chef von denen plant noch mehr Läden, die wollen sogar Montags aufmachen!
Gestern hatten wir sogar einen Arbeitslosen im Laden! Der ist nun schon 4 Wochen ohne Arbeit, eine Schande ist das hat mein Chef gesagt, der soll sich was schämen. Aber wenigstens ist er zum Friseur gegangen, freiwillig! Nicht so wie der Herr Grunewald, den hatte ja sein Chef geschickt und ihm gesagt das er noch vor Weihnachten zum Frisur muss. Als Erwachsener sollte er eigentlich wissen das man alle 3-4 Wochen zum Friseur geht!
Aber was mein Chef mit meinen Freunden macht find ich auch blöd! Die wollen jetzt alle längere Haare haben, so wie die Beatles.
Meine Freunde kommen und wollen nur die Spitzen abgeschnitten haben. Und was macht mein Chef? Er nimmt die Schere – und ab! Alles!
Er hat im Aufenthaltsraum etwas aus einer Fachzeitung aufgehängt, darauf steht:
"Wir stehen augenblicklich der modischen Torheit der Beatlesfrisur gegenüber. Sicher taucht eines Tages auch bei Ihnen ein ungepflegter, langhaariger Kunde auf, der den Wunsch äußert, nur so eben aus den Augen sehen zu können. Hier können Sie aus der Not eine Tugend machen : Aus dem gleichen natürlichen Fall der Haare gestalten Sie, unter gutem Zureden - es wird nötig sein - eine Modefrisur mit sauberer , eleganter Note. Aus dem Halbstarkentyp entsteht ein anerkennenswerter , junger Mann !"
Nee, meine Freunde kommen alle schon nicht mehr zum Friseur, nur wenn sie müssen.
Viele haben auch zu Hause Krach deswegen. Meine Freunde sagen: mit ihren Kindern werden sie das einmal ganz anders machen!
Hoppla, da hält ja ein Auto das mich mitnimmt.
Wird Zeit das ich nach Hause komme, ist ja schließlich Weihnachten!