Ina ist neu bei uns im Team, lange haben wir gesucht und sind froh, endlich eine neue Mitarbeiterin gefunden zu haben. Ihre Leistungen sind ansprechend, die Kunden zufrieden, einzig der Umsatz dürfte jetzt Ende des dritten Monats etwas höher ausfallen. Grund genug, um die neue Kollegin etwas aufmerksamer zu begleiten.
Heute im Herrensalon: Ina begrüßt einen Kunden, der jetzt zum zweiten Mal bei ihr ist. Er scheint zufrieden, sonst hätte er nicht bei ihr gebucht. Freundlicher Empfang, kurze Absprache: „soll das Haar auch gewaschen werden?“ „Nein, das habe ich bereits heute Morgen erledigt“, so die Antwort vom Kunden und Ina macht sich an die Arbeit. Gute 20 Minuten später ist daraus ein ansprechender Haarschnitt geworden. Der Kunde wir zur Klasse begleitet, das Spiel wiederholt sich. Der Nächste bitte.
Als ich mittags an der Kasse die Bons kontrolliere, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Sechs Kunden hat Ina in der Zeit bisher bedient und 6 × 16 € für einen Trockenhaarschnitt kassiert.
Sie hat so gearbeitet, wie sie es in ihrem früheren Unternehmen gelernt hatte. Allerdings, unsere Philosophie ist eine andere!
Während meiner Lehrzeit (1965 / 1968) wurden in den Herrensalons ausnahmslos Trockenhaarschnitte geschnitten. Beim Friseur Haare waschen – das gab es einfach bei den Männern (noch) nicht. Erst die Ideologie von Sassoon, brachte einen Wandel.
In den Salons jener Zeit war der neue Nass-Formhaarschnitt mit seiner veränderten Arbeitsweise und schulbarer Technik, ein willkommenes Zubrot. Mann wusste um die Unterschiede, argumentierte den Kundennutzen und die Umsätze in den Männersalons stiegen.
Beide Techniken haben nur eines gemeinsam: dass dabei die Haare kürzer werden, ansonsten sind es zwei grundsätzlich verschiedene Dienstleistungen! So sah es die Ausbildungsordnung dieser Jahre, über Jahre gab es sogar in den Prüfungen einen Männer Trockenhaarschnitt und den Nass Formhaarschnitt.
Einfacher Haarschnitt | Formhaarschnitt |
wird immer trocken geschnitten, ggf. nach dem Schnitt „angefeuchtet“ | wird immer nass geschnitten, bei bereits gereinigtem Haar ggf. Kopfmassage |
Technik des „über den Kamm schneiden’s“ | Technik der Graduation |
Wirbel und Schwachstellen schwer erkennbar | Wirbel und Schwachstellen sofort erkennbar |
wenig Volumen, stark ausgedünnt | volumengebende oder reduzierende Technik |
Frisur fällt glatt, flach und platt | Frisur fällt locker und stufig, natürlicher Fall |
individuelle Formgebung schwer möglich | individuelle Formgebung durch Graduation |
Form und Halt durch Finishprodukte | bleibt durch den Schnitt in Form |
Zeitaufwand ca. 15 Minuten | Zeitaufwand ca. 20-30 Minuten |
mittlerer Preis 2017 18,10 €uro | mittlerer Preis 2017 26,30 €uro |
Preisangaben Quelle Wella Panel 2017
Der Nass-Formschnitt wurde ein Erfolg. Anfang der 80er Jahren wurden 84 % der Männerschnitte nass erarbeitet, 10 Jahre zuvor wäre das undenkbar gewesen. Der Trockenhaarschnitt kaum noch gefragt, verschwand aus Lehrplan und Prüfungen. Wissen das in Vergessenheit geriet.
In den Jahren der Jahrtausendwende änderte sich die Frisurenmode für die Männer, kurze Schnitte die man auch (aber nicht unbedingt!) mit der Maschine schneiden konnte, waren wieder angesagt.
Es waren besonders die Discounter, die hier ihre Chance erkannten und den Trockenhaarschnitt zum Sparpreis wieder aufleben ließen. In Salons wo der Nass Formschnitt noch angesagt war, fehlte bei den Jungen Mitarbeitern jetzt plötzlich das Wissen, um Kundennutzen zu argumentieren und die höherwertige Dienstleistung anzubieten. Eine Tatsache mit negativen Folgen, Kunden orientierten sich am Preis und wechselten den Friseur, trotzdem wird das in vielen bundesdeutschen Salons bis heute praktiziert. Die Dienstleistung Trockenhaarschnitt ist unverständlicherweise auf inzwischen 50,7 % der Männerschnitte angewachsen. (Wella EVA Panel)
Der Trockenhaarschnitt ist mit einer Arbeitszeit von ca. 15 bis 20 Minuten kalkuliert und hat einen Durchschnittspreis von 18,10 €. In den meisten Salons werden Männerschnitte halbstündlich terminiert, woraus sich in diesem Fall ein Stunden-Umsatz von 36,20 € generieren lässt. Selbst bei Mindestlohn reicht es nicht, um die Rentabilität einer Friseurin zu sichern.
Es wäre ein Lösungsansatz hier drei gleichartige Behandlungen innerhalb einer Stunde zu terminieren oder zum Nass Formschnitt (Durchschnittspreis 26,30 €) zu beraten.
Mit der Frage Haare waschen Ja oder Nein, ohne weitere Beratung, verschenken Sie unter Umständen viel Geld. Täglich 3 Herren mit guter Beratung umgestimmt, bedeutet rund 25,- € mehr Einnahme am Tag oder 500,- € im Monat.
Fakt ist nämlich: 93 % der Trockenschnittkunden kennen nicht den Unterschied der Behandlungsarten und sehen den Mehrpreis nur durch die Haarwäsche begründet. Dies wird als zu teuer empfunden, der Kunde nimmt Abstand. Es ist aber Ihre Sache, und die Ihrer Mitarbeiter, Ihre Kunden aufzuklären und zu beraten.
Natürlich gibt es genügend moderne ( Kurz)haarschnitte die man bedenkenlos auch trocken schneiden kann. Die Erfahrung zeigt aber auch, das gerade jüngere Männer es genießen, auch mal verwöhnt zu werden. Nicht nur ratz-fatz Haare ab, sondern Entspannungshaarwäsche, Massage, keine kratzenden Haare im Kragen.... Beratung, Styling, - ein Wohlfühlerlebnis, - das ist heute Kundenwunsch.
Es geht absolut nicht darum jedem Kunden einen Naßhaarschnitt anzudrehen. Es muß aber dort beraten werden, wo für ein optimales Ergebnis diese Technik die Bessere ist. Es geht darum, eine hochwertige Arbeit nicht unter Wert zu verkaufen!
Fragen Sie doch mal Ihren Kunden, warum er einen Trockenschnitt haben möchte !!!
Mit ziemlicher Sicherheit wird er Ihnen antworten, er möchte nicht die Haare gewaschen haben, weil er selbst jeden Morgen die Haare wäscht. Aber er sagt nichts von einem einfachen Trocken-Haarschnitt !!! Vielleicht mag Ihr Kunde auch ein Kopfwasser mit entspannender Massage statt Haarwäsche…..